Inge Merkel: Das andere Gesicht (1982)

Da nun besagte Anni nicht gerade regen Geistes war, dafür aber von triefender Sentimentalität und daher äußerst mitteilungsbereit, gelang es leicht, durch feilendes Quälen die pikantesten Details herauszulocken. Diese Geschichten, die das unhübsche Geschöpf denn auch breit von sich gab, unterflocht sie, einem unklaren pädagogischen Drange folgend, mit Lehrhaftem; dieses bestand in der Aufzählung, Kritik und Kommentierung diverser Verhütungsmittel sowie Möglichkeiten eines Nichtfunktionierens derselben, teils durch dahingaloppierende Leidenschaft, teils durch männliche Unachtsamkeit oder auch Tücke.

Gerne ließ die Erfahrene sich vor den angeregt Lauschenden über die Leidenswege auch hören, die eine betrogene Liebende erwarteten, wenn sie sich zwecks heimlicher Abtreibung der unerwünschten Leibesfrucht gezwungen sah, sich die Hände einer hexenhaften Hebamme zu begaben, sie vermittels Haar-, Strick- oder Häkelnadeln die zarte Knospe der Liebe blutig entfernen zu lassen, was ausschließlich auf verschmutzten Küchentischen unter dem fahlen Lichte einer schwachen Glühbirne zu geschehen schien, die funsenhaft den grausen Vorhang beleuchtete.


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