Kandidat für den Nobelpreis

Seiten 92-94

Offenbar wird Knaus von den Prager Professorenkollegen sehr geschätzt: Der Nierenspezialist Wilhelm Nonnenbruch schlägt ihn im Jahr 1936 für den Nobel­ preis in Medizin oder Physiologie vor. Allerdings fällt er bereits bei der ersten Sichtung der eingegangenen Vorschläge durch: Der Sekretär des Nobel­Komitees Göran Liljestrand, selbst Pharmakologe, und der Gynäkologe Erik Ahlström be­fürworten eine Kandidatur von Knaus nicht. Daran ändert auch ein nachträg­liches Unterstützungsschreiben des Schweizer Freundes Hans Jakob Gerster nichts, mit dem er »die Aufmerksamkeit des verehrlichen Nobelkomitees auf den Mann lenken [will], der die seit Jahrzehnten wichtigste biologische Entdeckung auf dem Gebiet der Befruchtung und Fortpflanzung gemacht und sie wissenschaftlich be­ gründet hat […]«.

Statt an Knaus wird der Preis an den Österreicher Otto Loewi und den Engländer Henry Hallett Dale »für ihre Entdeckungen bei der chemischen Übertragung der Nervenimpulse« (Dale’sches Prinzip) vergeben.

Es lässt sich darüber spekulieren, warum Knaus den Preis nicht erhalten hat. Tatsächlich gehen jedes Jahr beim Nobelpreiskomitee mehrere Hundert Vor­schläge ein; nur in Ausnahmefällen erhält ein Kandidat bereits nach einer oder wenigen Nominierungen den Preis zuerkannt; beim britischen Neurophysiologen Charles Scott Sherrington waren sogar 134 Nominierungen nötig, bis ihm 1932 für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der Neuronen der Nobelpreis verliehen wurde. »Spitzenkandidaten werden meist über einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet und in dieser Zeit von verschiedenen Experten Gutachten für das Nobelkomitee verfasst.«404 Diese Vorgangsweise widerspricht eigentlich dem Willen des Stifters: Danach sollte der Preis an denjenigen verliehen werden, der im letzten Jahr mit seiner Entdeckung den größten Nutzen für die Menschheit er­ bracht hat.

Ahlström meint zwar in seinem Vorgutachten, dass die Frage der Befruchtungs­fähigkeit »von großer sozialer und medizinischer Bedeutung ist«, sodass sie im positiven Fall einen Nobelpreis wohl rechtfertigen würde, doch hält er die Arbei­ten von Knaus und Ogino nicht für eine so bedeutende Entdeckung, dass sich das Nobelkomitee damit befassen müsste. »Ganz im Gegenteil: erfahrungsgemäß spricht viel dagegen, dass die Auffassung von Knaus allgemeingültig ist.«

Für das fehlende Interesse an Knaus’ Entdeckung kann auch das Thema eine Rolle gespielt haben. Denn in den 35 Jahren seit der erstmaligen Vergabe des Prei­ses im Jahr 1901 war kein einziger Wissenschafter für frauenspezifische Forschun­gen ausgezeichnet worden. Im Gegenteil, erst wenige Jahre zuvor (1931) wurde sogar die sehr favorisierte Nominierung der Gynäkologen Bernhard Zondek und Selmar Aschheim für ihre Arbeit über weibliche Sexualfunktionen und Schwan­gerschaftsreaktionen knapp vor dem Ziel abgeschossen. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass im Jahr 1936 ein gesellschaftlich so tabuisiertes und medial so unattraktives Thema wie Eisprung und Menstruation derart herausgestellt würde. Erst in allerjüngster Zeit sind zwei frauenspezifische Forschungen mit dem Nobel­ preis ausgezeichnet worden, nämlich in den Jahren 2008 (Gebärmutterhalskrebs) und 2010 (In­vitro­Fertilisation).

Den Nobelpreis zu erhalten ist ohnehin nicht unbedingt wünschenswert: Ein trauriges Beispiel dafür liefert Robert Bárány, Mediziner und Neurobiologe, der 1914 als erster Österreicher den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Die Kollegenschaft teilte seine Freude nicht, im Gegenteil, Neid und Missgunst führten zu unschönen Reaktionen: Man machte ihm den Vorwurf, verschiedene Entdeckungen anderer Autoren nicht oder nur teilweise in seinen Literaturanga­ ben berücksichtigt zu haben, und bestritt damit die Priorität einiger seiner Beobachtungen. »Diese Vorwürfe haben auch dazu geführt, daß man Bárány die Er­nennung zum außerordentlichen Professor verwehrte, so daß er […] einen Ruf nach Upsala annahm, wo er als Professor und Leiter einer Ohrenklinik bis an sein Lebensende wirkte.«