Neue medizinische Fragestellungen

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Zurück zu Knaus’ Prager Zeit: Neben der Zurückweisung bekannter Entgeg­nungen, seinen Vorlesungen über Klinische Geburtshilfe und Gynäkologie inklusive gynäkologischer Operationen380 und seiner Arbeit als doppelter Klinikchef forscht und publiziert Hermann Knaus weiterhin auf seinem Spezialgebiet, dem Gelbkör­per. Nun untersucht er die Frage, ob der Lehrsatz ›Ohne Ovulation kein Corpus luteum, ohne Corpus luteum keine Menstruation‹ stimmt oder ob menstruations­ähnliche Blutungen auch ohne einen davor liegenden Eisprung möglich sind. Das will er mit seiner bewährten Methode herausfinden, bei der er spontane Bewegun­gen der menschlichen Gebärmutter aufzeichnet. Nun braucht er nur noch »eine geeignete, und zwar genital­gesunde Frau, an der damit gezeigt werden sollte, ob auch beim Menschen ovulations­ und gelbkörperlose Zyklen im fortpflanzungs­fähigen Alter vorkommen. Durch Zufall bin ich gleich nach Aufnahme dieser Untersuchungen auf eine Frauensperson gestoßen, die sich hierfür bereitwilligst zur Verfügung stellte.«381 Mit seinen Untersuchungen bestätigt Knaus die Beob­achtung, dass das Vorkommen menstruationsähnlicher Blutungen nicht automa­ tisch Fortpflanzungsfähigkeit bedeutet. Am Beginn und am Ende der fruchtbaren Lebensperiode sind solche ›leeren‹ Zyklen (mit sogenannten anovulatorischen Blutungen) häufig und ganz natürlich; zu anderen Zeiten können sie hingegen die Erklärung für ungewollte Kinderlosigkeit bieten. Seine Untersuchung widmet Knaus seinem Kollegen Anton Ghon zum 70. Geburtstag, Professor für pathologi­sche Anatomie an der Prager Universität und wie Knaus ein geborener Kärntner.

Wie in jeder seiner Arbeiten beleuchtet Knaus auch die neue Fragestellung mit einem Überblick über die gesamte Fachliteratur, die sich jemals mit diesem Thema beschäftigt hat. Darunter referiert er eine mehr als hundert Jahre alte Beobachtung, wonach bei einer hingerichteten Frau 12 Tage nach der Menstruation ein mit fri­schem Blut gefüllter Follikel zu finden war.382 Die Beweisführung anhand hinge­richteter Frauen kommt in der Vergangenheit selten vor, wird aber in der NS­Zeit wieder auftauchen und zu einer vehementen Auseinandersetzung zwischen Knaus und einem Fachkollegen führen.