Käsepappel

"Ein nahrhaftes, knuspriges Scheibchen, 10 Millimeter rund, an seiner rauen Oberfläche leicht zu fassen - wie verlockend klingt das in Deinen Ohren, liebes zweifarbiges Malven-Spitzmäuschen?"

 

"Leider sind diese Früchte für mich eine Nummer zu groß", antwortet das Mäuschen, „ausserdem trügt mein Name. Ich bin nämlich kein Mäuschen sondern ein Käfer. Unsereins nützt die Wilde Malve stattdessen als Brutpflanze."

 

„Brutpflanze", wiederhole ich. "Na, so weit sind unsere Interessen dann doch nicht auseinander", sage ich zum Spitzmausrüssler und pflücke mir ein paar Blätter der Wilden Malve für mein Abendessen. An ihnen schnuppern will ich nicht, halte sie schnell unter den Wasserstrahl. Vielleicht hat ja eine Frau draufgelullt, um ihre Fruchtbarkeit zu testen. Nicht umsonst heißt sie auch ‚Pissblume'. Wenn drei Tage später nichts verdorrt ist, kann mit Kindersegen gerechnet werden, sagten die weisen Frauen.

 

Was man nicht alles aus dem Mund der weisen Frauen erfahren konnte. Und wenn der ‚Kindersegen' kein Segen war sondern ein (weiteres) Kind einfach nicht ging, auch dann kann diese Pflanze Dienste tun. In jedem Garten wächst sie, mit spitzer fester Pfahlwurzel, im Boden tief verankert. Man muss sie nur herausziehen, gut waschen, sich ein stilles Eckchen suchen, den Rock heben, die Beine spreitzen ... Bei der vierzigjährigen Johanna ging es schlecht aus, sie bekam hohes Fieber, Schüttelfrost, Blutvergiftung; zum Glück wurde sie im Spital gerettet. Anschließend: 3 Monate schweren Kerker, verschärft durch einen Fasttag und ein hartes Lager monatlich, bedingt auf 3 Jahre.[1] Selber schuld, 1955 war die Abtreibung in Österreich verboten, der Staat braucht Arbeiter, Steuerzahler, Soldaten. Die katholische Kirche braucht Anhänger.

 

Wie viele an so einer Prozedur gestorben sind, wissen wir nicht. Wie viele es überlebt haben, mit oder ohne andauernde Gesundheitsschädigungen, wissen wir auch nicht. Nur wenige Abtreibungen wurden amtsbekannt.

 

Die Pflanze heißt Käsepappel (Malva sylvestris) und soll bei allerlei Entzündungen lindernd wirken. Das aber wirklich.

 


[1] Vr 2560/1955, Serie 2.3.4.A11, WStLA.