Minnelied bei Krauss

Die Verwendung des Begriffes „Minnelied“ mag auf den ersten Blick irreführend wirken, da das „Minnelied“ in der Musikgeschichte für die höfischen Liebeslieder des Mittelalters und die in ihr besungene „geistige Liebe“ steht. Dem Bedeutungswandel des Begriffes Tribut zollend, greift Krauss auf das „gegen Ende des 18. Jahrhunderts (...)aus dem mittelalterlichen Sprachschatz hergeholten Wort ,Minne‘ zurück“; das nun im neuen Wortverständnis für die „geschlechtliche Liebe“ steht. Krauss: wenn der Dichter von der „Minne Lust und Leid“ singt, dann meint er damit die Freude und den Jammer, die den Menschen aus den „Unterleibsvergnügungen“ entstehen (Krauss 1929: 10). Der Witz, der diesen Texten innewohnt, habe nicht nur den Effekt, die Menschen zum Lachen zu bringen und etwas Druck vom Thema Sexualität zu nehmen, sondern sie wirken zusätzlich volksbildnerisch in einem weit höheren Maße als religiöse Texte, Gesetze und Verbote – weil sie besser und direkter auf Verstand und Geist wirken (ebd.: 12). Krauss verurteilt die kirchliche und staatliche Reglementierung, die auf der menschlichen Sexualität lastet. „Nicht die Sexualität macht den Menschen zum Verbrecher, sondern der verbrecherische Mensch macht aus der Sexualität ein Verbrechen.“ (ebd.: 20). Krauss verwendet den Begriff „Minnelied“ im weiteren auch aus strategischen Gründen. Er, der sich mehrfach vor Gericht ob seiner Forschungen der Justiz stellen musste, wollte damit den Kämpfern des „Schmutz- und Schundgesetzes“ (§184 St.G.B.) zuvorzukommen, die hinter dem Begriff Erotik einen Ausdruck sittlicher Verkommenheit sahen (ebd.: 9).