Lisbeth Burger: 40 Jahre Storchentante (1950)

Wenn Eltern ihren eigenen Kindern im Jugendalter Verhütungsmittel in die Hand drücken, ‚daß ihnen nichts passiert’, - was kann man von der Jugend dann noch erwarten ...

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Wir enthalten uns immer wieder eine Zeit, um die Kraft darin zu üben und zu vermehren. Nach dem ersten Kind waren es drei Monate, dann schon sechs. Das letzte Mal fast ein Jahr. Aber wenn ich merke, daß mein Mann Tag und Nacht keine Ruhe mehr hat, daß es fast über seine Kraft geht – daß Gefahr besteht, er könne der Versuchung unterliegen und die Ehe entweihen (Männern ist das ja so leicht gemacht!), dann muß ich doch sein Weib sein. Ganz abgesehen vom verpflichtenden Gottesgebot muß ich das, weil ich ihn lieb habe und ihm helfen will. Es ist halt ein Verhängnis bei uns, daß immer gleich ein Kindlein kommt. Doch wenn alles Leben in Gottes Hand liegt, so ist das auch recht so. Und ich trag mein Kreuzlein – und trag es gern.

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‚... Eines Nachmittags kommt ein sehr gut aussehender, scheinbar reicher Herr zu mir. Sagt, er sei ein Deutsch-Amerikaner und könne nun nicht in die neue Heimat zurückkehren, bis der Krieg zu Ende sei...

„Aber Sie sind doch patentierte Hebamme, und wie ich hörte, sehr tüchtig in Ihrem Fach.“ ...

„Ja, sehen Sie, meine Braut ist in anderen Umständen. Das ist natürlich eine sehr fatale Sache, wenn man im Hotel wohnen muss...“

„Wir eröffnen nächste Woche hier in unserem Krankenhaus eine Abteilung für Entbindungen. Weil es heute manchmal vorkommt, dass das nicht zu Haus gemacht werden kann. Wenn Sie sich da vormerken lassen wollen...“ „Ach nein, Sie verkennen die Situation. Wir können uns nicht binden. Es ist doch eine furchtbare Behinderung... wir müssen frei sein, bis wir in die Heimat kommen...“ „So wollen Sie wohl eine Pflegestelle für das Kind?“ Mir ging ja ein Licht auf, wo es hinaus sollte!

„Nein. Das Kind darf nicht geboren werden. Wir können es jetzt einfach nicht brauchen. Das müssen Sie doch einsehen. In unseren Verhältnissen...“

„Das hätten Sie sich mit Ihrer Braut eben früher überlegen müssen. Da kann man nichts machen, wenn das Leben einmal da ist...“

„Freilich kann man etwas machen. Sie als Hebamme wissen das ganz gut, wie man eine Fehlgeburt einleitet. Wir zahlen gut. Es kommt mir auf dreihundert Mark nicht an...“

„So, einen Mörder wollen Sie dingen für ein unschuldiges, wehrloses Kind. Da sind Sie aber an die falsche Adresse geraten, Sie Lump! Machen Sie, dass Sie zu meinem Haus hinauskommen!“ Und ehe er sich’s versah, stolperte er die Treppe hinab. ...

Ein paar Tage später wird eine Korrespondentin aus der Zementfabrik – das Fräulein Braut – in unser Krankenhaus eingeliefert. Mit einer Fehlgeburt, verbunden mit einer schweren inneren Verletzung. Und stirbt daran. Ein junges Mädchen von noch nicht zwanzig Jahren...

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... Einige Tage später bin ich in das Oberamtstädtchen gefahren, allwo Frau Ulz in Untersuchungshaft saß. Kaum hatte sie mich gesehen, fing sie zu schimpfen an:

„Daß ich so dumm war... dreihundert Mark! Dreißig hat der Lump mir gegeben... So ist es immer gegangen... Viel versprochen haben alle, und gehalten nichts hintendrein. Der eine sagt einen Zentner Weizen und bringt zehn Pfund...und die anderen hundert Eier und schickt fünfzehn... Dafür hat man das Risiko und die Arbeit...“

„Ja, haben Sie das denn schon öfters getan?“

„Was will man denn machen, wenn man leben muß! Im Beruf sind ja keine zehn Mark zu verdienen im Monat. Geburten gibt es keine mehr. Wenn ich es nicht mache, machen es die Burschen selbst. Dann hat man erst recht das Nachsehen...“

„Aber Frau Ulz, sie als Hebamme mußten doch wissen, daß so ein Eingriff eine Lebensgefahr ist, daß es schief gehen kann und daß sie dann in das Zuchthaus kommen...“ „Was sonst noch! Ich habe ganz sachgemäß gearbeitet. Hab es beim Marx gelernt. Nur diesmal das dumme Frauenzimmer, wenn das sich ruhig verhalten hätte, wäre auch nichts passiert...“

„Wenn man einmal bekannt ist, kann man nicht mehr aufhören. Es spricht sich herum. Wenn man eine wegschickt, kann sie zum Kläger werden, so lange wir das verfluchte Gesetz haben, daß man den Frauen nicht helfen darf. Und das wissen alle und darum zahlen sie auch nachher nicht, die liederlichen Dinger.“

„Frau Ulz, haben Sie denn ganz vergessen, was wir in der Hebammenschule gelernt haben? Daß es ein Menschenleben ist vom Tag der Empfängnis an, das wir schützen und hegen müssen genau so, wie die Mutter das Geborene betreut?“

„Ach was, Menschenleben! Hat ja so schon zu viele auf der Welt! Wie viele schlägt man denn draußen tot! Große, starke Männer. Das ist doch kein richtiges Leben, das Ungeziefer da, das die Russen uns in den Pelz setzen. Ist doch alles minderwertig und fällt der Allgemeinheit später zur Last. Das Leben kommt doch erst im vierten Monat...“

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