Ausgerechnet Fische!

Tierische Kondome waren „gefühlsechter“ als Gummis

Ausgerechnet ein Fisch ist ein Fortpflanzungs-Weltmeister, nämlich Frau Mondfisch: 300 Millionen Eier auf einmal. Nicht ganz so viele, aber immerhin 7 Millionen Eier legt ihre Kusine, Frau Stör, und wenigstens 500.000 Eier produziert Frau Wels, der größte reine Süßwasserfisch Europas. Fische sind also keine Vorbilder zum Thema Verhütung.

 

Dennoch war das Fischblasenkondom bis Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang 20. Jahrhundert ein sehr beliebtes Verhütungsmittel: „Fischblasen sind den Gummis insofern vorzuziehen, als dieselben bedeutend haltbarer und feiner, also weniger fühlbar beim Gebrauch als Gummi sind und eine Gefühlsbeeinflussung fast vollständig ausgeschlossen ist.“ (Zitat aus dem Verkaufskatalog von Ed. Baumgartner, Luzern, 1908). Das lag daran, dass die seit 1855 erhältlichen Gummikondome mit ca. 2 Millimetern Wandstärke „unsensibel“ waren.

 

Ganz anders die Schwimmblasen der Fische: Die durchscheinende Außenhaut dieser luftgefüllten Säcke besteht nur aus ganz wenigen Zellschichten, ist also eine allerfeinste Membran. Angeblich waren sie bereits in der Zeit des kretischen Königs Minos (1.200 v. Chr.) in Gebrauch. Größenmäßig geeignet sind die Schwimmblasen vom Wels und dem bis zum 19. Jahrhundert auch bei uns sehr häufig vorkommenden Stör. Dem Fisch dient sie einerseits dazu, im Wasser schweben zu können statt ständig Schwimmbewegungen machen zu müssen, andererseits zur Lagestabilisierung. 

 

Kondome können rutschen, nicht erst seit heute

Im Vergleich zu unseren heutigen Kondomen hatten die Fischblasenkondome jedoch zwei Nachteile: Das Risiko war groß, dass es bei temperamentvoller Anwendung seinen Halt verlor und sich nicht mehr herausziehen ließ. Diese Gefahr versuchte man dadurch zu bannen, dass am oberen Ende ein Bändchen oder ein Kautschukring befestigt wurde, der das Kondom dort festhalten sollte, wo es hingehörte.

Findige Köpfe tüftelten an der Optimierung derartiger Vorrichtungen: Festhalten ohne einzuengen. Einer von ihnen war der Leipziger Willibald Schaarschmidt, der im Jahre 1910 beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin eine ‚Vorrichtung zum Festhalten des Fischblasenkondoms‘ anmeldete. Dabei handelte es sich um zwei ineinander schiebbare starre Ringe, die den Rand des Kondoms festhielten. „Das Material, aus dem die Ringe hergestellt werden, kann ein beliebiges sein. Zweckmäßig wird man den inneren Ring aus dünnem Metallblech machen, während der äußere ebenfalls aus Metallblech oder Hartgummi, Zelluloid usw. sein kann.“

Zum anderen waren Fischblasenkondome teuer, weshalb man versuchte, sie wiederholt anzuwenden. Dazu wurden sie vorsichtig gewaschen, eventuelle Risse geflickt (sehr risikoreich!), und sie zum Trocknen aufgespannt. Zur Verhinderung von Bruchstellen rieb man sie mit Öl und Kleie ein. Vor dem neuerlichen Gebrauch wurden sie befeuchtet. Im MUVS ist ein Kondomtrockner ausgestellt.

 

Eine weitere recht beliebte Möglichkeit waren sogenannte Schafsdarmkondome, denn auch sie bestehen aus feinem tierischem Gewebe. Hier eine Beschreibung von 1927 (E. C. A. Meyenberg, Zeugung und Zeugungsregelung):

„Die Zoekalkondome werden aus der Bindegewebsschicht der Haut des Blinddarms der Schafe (coecum) hergestellt. Es handelt sich also um tierische Häute, deren Stärke und Größe mit dem Alter der Tiere wechselt. Am dünnsten sind die von drei Monaten alten Tieren gewonnen Membranen“ – etwa so groß wie ein erigierter menschlicher Penis. Anders als der menschliche Blinddarm hat der von Schafen keinen Wurmfortsatz – was für den gewünschten Verwendungszweck ja auch kontraproduktiv wäre.

 

Man nehme einen Schafsdarm …

Die Herstellung eines Schafsdarmkondomes ist mühsam, wie die Erläuterung aus dem Jahr 1824 zeigt: 
„Man weiche einen Schafsdarm (Intestinum caecum) für mehrere Stunden in Wasser ein, stülpe ihn um und lege ihn in eine schwach alkalische Lösung, die alle zwölf Stunden gewechselt wird. Die Schleimhaut abschaben, aber die peritoneale und die muskulöse Schicht unbeschädigt lassen; den Schwaden von brennendem Schwefel aussetzen, mit Wasser und Seife waschen; aufblasen, trocknen, auf eine Länge von 18 bis 20 cm kürzen, an die Kante ein Band nähen. Vor der Verwendung in Wasser einweichen, damit das Kondom geschmeidig ist.“ Im englischen Wortlaut nachzulesen auf Lesley Halls Website: lesleyahall.net. 

 

Bezüglich Wiederverwendung galt dasselbe wie für das Fischblasenkondom. Dazu hier ein Zitat von 1918. Aus: August Forel: Die sexuelle Frage, 1918, S 215-216 

„Man kann den gleichen Kondom, wenn er solid ist, sehr oft brauchen, wenn man ihn in Borwasser hält, oder, nachdem er gewaschen und zwischen zwei Tüchern beiderseits getrocknet ist, Luft hineinbläst, die Öffnung an der Basis zudreht und den so aufgeblasenen Kondom bis zum Morgen, am besten auf einem Stück Wollstoff, trocknen läßt. Dann dreht man die Öffnung wieder auf, weitet sie gleich aus, bevor sie zu hart geworden ist, und der Kondom ist von neuem gebrauchsfähig. Eine solche Maßregel erlaubt zugleich die Luftdichtigkeit des Kondoms zu prüfen. Ist er nicht ganz luftdicht, so sinkt er bald zusammen, statt aufgeblasen zu bleiben. Da wo Luft oder Wasser, das man hineingießt, nicht durch kann, kann aber auch kein Spermatozoon durch. Man muß sehr beharrlich und sorgfältig sein, um sicher zu gehen. Hat man zu dünne Kondoms, so kann man zwei solche übereinander anziehen.

 

Nur etwas für Wüstlinge?

Doch wurden Kondome nicht nur zur Verhütung eingesetzt, sondern genau wie heute auch zur Vermeidung sexuell übertragbarer Krankheiten. Ab 1851 scheint der Begriff ‚Kondom‘ in Meyer’s Conversations-Lexicon auf - allerdings voller moralischer Entrüstung: „Kondom (Condom), ein Ueberzug von Goldschlägerhaut […], der von Wüstlingen vor dem Beischlafe über das männliche Glied gezogen wird, um die Befruchtung zu verhüten, auch wohl um die venerische Ansteckung [= von Geschlechtskrankheiten] unmöglich zu machen, eine jener raffinierten Erfindungen, auf welche die verderbte Zeit geführt hat, die aber der sittliche Mensch verachtet, ja kaum dem Namen nach kennt.“ 

Lassen wir dahingestellt, ob nur ‚Wüstlinge‘ den Begriff Kondom kannten – weil alle anderen ja bekanntlich brav und keusch lebten. Widmen wir uns stattdessen der erwähnten ‚Goldschlägerhaut‘: Es handelt sich um die äußerste Hautschicht von Rinderdärmen, elastisch, reißfest und extrem dünn– nur 0,05 bis 0,1 Millimeter dick. Ihren Namen hat sie vom Hämmern von Blattgold, wo sie die einzelnen Lagen voneinander trennt. Auch wer das Musikinstrument Oboe spielt, kennt die Goldschlägerhaut, die zum Abdichten des Mundstücks verwendet wird – in diesem Fall allerdings unter dem (falschen) Namen ‚Fischhaut‘.

Als Verhütungsmittel sind Kondome nach wie vor nur mäßig empfehlenswert, wie ein Blick auf den so genannten Pearl-Index zeigt. Da kann man sich nur der französischen Schriftstellerin Madame de Sévigné (1626-1696) anschließen, die im Jahr 1671 in einem Brief an ihre Tochter, die Comtesse Françoise Marguerite de Grignan, beklagte, die Gummihaut sei „ein Panzer gegen die Lust, aber ein Spinnweb gegen die Gefahr“ (Britta-Juliane Kruse: Die Arznei ist Goldes wert“: mittelalterliche Frauenrezepte, 1999).