1945: Josefine H., Abtreibung mit Indikation

Bereits im dritten Monat schwanger erstattet Josefine H., ledige Pflegerin an der Gau-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke, die Anzeige über eine Vergewaltigung durch einen unbekannten Ausländer.

Sie ging am 15. Februar nach Beendigung ihres Dienstes von der Heilanstalt Feldhof etwa um 18 Uhr zum Bahnhof Puntigam, um eine Auskunft einzuholen. Um 19.30 Uhr trat sie den Rückweg an und übersetzte das Bahngleis bei einem Schranken. An diesem Schranken lehnte ein Mann, der ihr folgte. Sie ging schneller, schließlich lief sie. Der Mann holte sie ein, packte sie am Mantel, so dass sie nicht weiter konnte. Auf ihre Frage, was er will, sagte er in gebrochenem Deutsch, er braucht eine Frau, wenn er schon für Deutschland arbeitet.

Er wirft sie zu Boden, packt sie am Hals, reißt ihr den Mantel auf und die Hose herab, vergewaltigt sie. Sie ist durch die ständigen Alarme in der Umgebung so außer Fassung, dass sie sich der Vergewaltigung gar nicht erwehren kann. Ihre Hilferufe werden an dieser Stelle von niemandem gehört.

Beim Ausbleiben der Regel sucht sie den Arzt in Wildon auf, der den Grund allerdings in den Aufregungen des Luftkrieges sieht. Als sich die Regel nicht wieder einstellt, geht sie zu Frau Dr. E., die eine Schwangerschaft als sehr wahrscheinlich bezeichnet. In der Klinik wird eine Schwangerschaft im dritten Monat festgestellt. Sie will das Kind nicht austragen, sondern sucht um eine Bewilligung zur Schwangerschaftsunterbrechung an – als Gründe gibt sie die Vergewaltigung durch einen unbekannten Ausländer sowie Schizophrenie bei zwei Geschwistern an. Wegen erblicher Belastung will sie nicht heiraten und keine Kinder bekommen.

Um eine Indikation für die Unterbrechung der Schwangerschaft zu erhalten, muss Josefine K. beim Stadtphysikus vorsprechen. Dieser befindet sie als glaubwürdig und sucht um eine Genehmigung zur Schwangerschaftsunterbrechung an. Das Gesundheitsamt wird jedoch am 21. April 1945 informiert, dass es momentan nicht möglich ist, eine Genehmigung vom Reichsminister des Innern einzuholen. Eine Ausnahmegenehmigung kann nicht erteilt werden, weil der Notzuchtsakt nicht erwiesen ist und die Anzeige verspätet erfolgte.

Einem neuerlichen Antrag auf Schwangerschaftsunterbrechung könne erst näher getreten werden, wenn von der Staatsanwaltschaft oder Polizeibehörde nach den gegebenen Umständen ein Notzuchtsfall zumindest als wahrscheinlich bestätigt werde.

(Anmerkung: Der 2. Weltkrieg und das Deutsche Reich endeten am 8. Mai 1945)

Quelle: Landesarchiv Steiermark, L.reg 200 I H 47/1-45 Gruppe K 3849