1948: Dr. H. J. und Dr. W. C., angeklagt der versuchten Abtreibung

Die beiden Wiener Ärzte Dr. H. J. und Dr. W. C. werden in der Nacht des 15. Mai 1948 schwer bepackt von Beamten der Wiener Sicherheitswache an der Brücke der Roten Armee (heute: Reichsbrücke) perlustriert, weil sie sich seltsam verhalten. In ihren Paketen und Bündeln finden die Polizisten Kopf, Beine und Arme einer Frauenleiche; der in eine Decke gehüllte Rumpf wird später in der Wohnung des einen entdeckt.


Bei ihrer Einvernahme gestehen die beiden, einen verbotenen Eingriff durchgeführt zu haben. Doch bevor sie dieses Vorhaben in die Tat umsetzen konnten, unterlief ihnen ein tödlicher Fehler: Dr. J. vergreift sich in der Ampulle, somit injiziert Dr. C. statt Novocain Suprarenin, das in kürzester Zeit den Tod der Technik-Studentin L. F. herbeiführt. Als ihr Verlobter, der sie bis zur Tür begleitet hat, sie wieder abholen will, streitet Dr. J. ab, dass das Mädchen überhaupt bei ihm gewesen sei. Weil der Philosophiestudent R. H. mit der Polizei droht, erklärt ihm der Arzt, dass seine Braut im Spital sei und schickt den Besorgten nach Hause. Erst als die Polizei ihn am nächsten Tag zum Verhör holt, erfährt er, was geschehen ist. Als Mitwisser wird er kurzfristig in Haft genommen, in der Folge mitangeklagt. Er und seine Verlobte wollten im kommenden Sommer heiraten.


Die beiden Ärzte lernten sich Jahre zuvor im Spital der Barmherzigen Brüder kennen. Als Dr. J. an das Allgemeine Krankenhaus als Sekundararzt kommt, bleiben die beiden in Kontakt. Nachdem bei der 26jährigen Studentin eine Schwangerschaft festgestellt wird, geht sie durch Vermittlung einer Freundin zu Dr. J. in das Ambulatorium der Frauenklinik. Sie bestürmt ihn, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Ein Honorar von 600 Schilling wird vereinbart (umgerechnet auf 2005: 530 Euro); der mühsam zusammengeborgte Geldbetrag findet sich nachträglich noch in ihrer Tasche.


Ohne Geld und ohne Wohnung konnten die Verlobten an eine Heirat nicht denken, schon gar nicht mit Kind, wird ihr Verlobter in der Verhandlung aussagen. Der Arzt willigt schließlich ein und verständigt Dr. C., damit dieser ihm assistiere und die nötigen Medikamente aus dem Spital mitbringt. Nach dem Tod sahen sie als einzige Möglichkeit ihrer Rettung, sich schnellstens der Leiche zu entledigen. Um sie besser abtransportieren zu können, zerlegt Dr. C. sie mit einem Küchenmesser.
Auch auf Grund der polemischen Berichterstattung kommt es am Prozesstag zu einem Massenandrang des Publikums. Die Anklage lautet auf versuchter Abtreibung, Vergehen gegen die Sicherheit des Lebens und gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung durch Misshandlung einer Leiche, sowie Mitschuld. In den Tagen zuvor sind dem Gerichtshof zahlreiche Schreiben von Patientinnen zugegangen, in denen den Ärzten ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt wird. Als Hauptverantwortlicher wird Dr. J. zu 15 Monaten schweren Kerkers verschärft durch einen Fasttag vierteljährlich verurteilt, verbunden mit dem Verlust des akademischen Grades. Dr. C., der sich in der Verhandlung als moralisch mitverantwortlich bezeichnet, erhält 6 Monate strengen Arrests, verschärft durch zwei Fasttage und 2 harte Lager während der Strafzeit. Die Vollziehung seiner Strafe wird vorläufig mit einer Probezeit von drei Jahren bedingt ausgesprochen.


Quelle: Stadt- und Landesarchiv, Wien, A 11 /LG Wien 7 Vr. 6458/48

Foto: Die Zweite Reichsbrücke, Quelle: www.wikipedia.org (03.07.2008)